Die Frage nach dem Warum?

Dieser Roman ist nach 7 Jahren Vorlaufzeit entstanden. 7 Jahren der Sprachlosigkeit, 7 Jahren der Fassungslosigkeit und 7 Jahren des Reifens. Er ist nicht entstanden um Schuldzuweisungen zu verteilen, sondern um Betroffenen in gleichen oder ähnlichen Situationen zu helfen.

Ich vereine in einer Person ein betroffenes Kind, eine betroffene Mutter und eine betroffene Großmutter. Ich kenne also drei unterschiedliche Sichtweisen und Empfindungen. Für mich stand und steht im Mittelpunkt immer das Kind. Ein Kind, was selten einmal gehört wird und so es gehört wird, wird seinem Willen nicht oder nur selten entsprochen. Es ist ja nur ein Kind. Niemand bedenkt offenbar, dass aus jedem Kind einmal ein erwachsener Mensch wird.

Ich gebe zu, wenn ich mein Schicksal nicht mit dem vieler anderer Menschen teilen würde, wäre dieses Thema nie wirklich in mein Bewusstsein gedrungen. Warum auch? Nicht das ich froh darüber bin, derartige Erfahrungen aufgezwungen bekommen zu haben, aber ich bin daran gewachsen. Meinem Enkelkind allerdings hätte ich diese Erfahrung gern erspart. Es hätte nicht sein müssen, wenn es Richter und Jugendamtsmitarbeiter gegeben hätte, die das Kind im Mittelpunkt des Geschehens sehen. Aber niemand kann die Vergangenheit ändern. Die Zukunft jedoch schon und der einzige Lösungsansatz ist für mich nach wie vor der Wille des Kindes.  

Genau wie andere Betroffene auch, habe ich in den vergangenen 9 Jahren vielen Menschen zur Seite gestanden. Doch anders wie viele Andere habe ich mich nicht auf eine Seite geschlagen, sondern immer das Kind in den Mittelpunkt gestellt. Ein Kind liebt sein zu Hause. Liebt Vater, Mutter, Großeltern, Onkel, Tanten usw.. Ich persönlich habe es nie anders erlebt, und wenn Aussagen in entgegengesetzter Form gefallen sind, waren sie das Ergebnis eines Loyalitätskonflikts. Ein Kind ist abhängig von dem Elternteil, bei dem es lebt, also folgt es den Aussagen des Erwachsenen. Ich habe jedoch auch Kinder erlebt, die dann später, als sie unabhängig waren, sich genau von diesem Erwachsenen abgewendet haben. Und der Erwachsene, egal, ob Vater oder Mutter hat nie verstanden, warum. Das Kind wurde als undankbar hingestellt und das war es. Keinerlei Selbstreflexion, kein Hinterfragen, keine Vergebung und schon gar keine Versöhnung. Schade. Ich habe aber auch viele Erwachsene kennengelernt, die sich auf die Seite des Kindes gestellt haben. Die dem Kind zugehört haben, seinen Willen respektiert haben und zumindest versucht haben ihm Gehör zu verschaffen. Ein Kind spürt mehr, als viele Erwachsene glauben, und kann zwischen Gut und Böse unterscheiden. Es kann sein Empfinden nicht immer in Worten ausdrücken, doch auch der Körper hat eine Sprache.

Es ist nicht die Gesetzeslage, die den einzelnen Menschen scheitern lässt und Kinder in eine für sie oft genug unglückliche Lage bringt, sondern der nicht zu unterschätzende Faktor Mensch. Menschen, die Macht besitzen wollen und diese auch ausleben. Beugst du dich nicht, nehme ich dir das Kind weg. Das war übrigens bereits im Mittelalter eine bewährte Methode um Menschen unter Kontrolle zu bringen oder sie zur Flucht zu animieren. Doch inzwischen sollte der Mensch weiter fortgeschritten sein in seiner Entwicklung. Ich habe mich immer wieder gefragt, warum bestimmte Berufsgruppen meinen, das Recht zu haben, sich ungefragt in das Leben anderer Menschen einmischen zu dürfen. Das Gefühl von Macht dürfte die Antwort sein. Vielleicht auch die Existenzsicherung, denn 4 Milliarden Euro sind ein nicht zu unterschätzendes Argument. Doch ich bin auch auf Richter getroffen, die die richtigen Fragen gestellt haben, die den Kindern zugehört haben, die für sie nicht kalkulierbare Risiken eingegangen sind und die nicht enttäuscht wurden. Die meisten Eltern sind in der Lage, im Zweifel auch mit Unterstützung anderer, Eltern zu sein und das auch während und nach einer Scheidung nicht vergessen. Für ein Kind ist es der Supergau sein Elternhaus zu verlieren und es versteht nicht warum. Es wird die Schuld immer zuerst bei sich suchen. Ein Trauma also. Eines welches verarbeitet werden kann, aber selten genug stehen die Mittel dazu zur Verfügung. Wenn es dann noch in ein Kinderheim oder zu Pflegeeltern kommt, die nichts über die Vergangenheit des Kindes wissen, ist das Drama perfekt. Bei Nachfragen erfährt das Kind nur, deine Eltern konnten nicht für dich sorgen. Das Kind wird verstummen, denn die meisten Kinder haben das anders erlebt. So lässt sich kein Vertrauen aufbauen.  Das Kind bleibt allein, fühlt sich ohnmächtig und hilflos. Es gibt aber auch Pflegeeltern und Einrichtungen, die den Kontakt zu den Wurzeln des Kindes halten, wenn das Kind es möchte, weil es ihnen um das Kind geht. So ist es für das Kind zumindest leichter, da das Gespräch nicht abbricht und Fragen kindgerecht beantwortet werden können.

Auch Mitarbeiter von Jugendämtern sind durchaus bereit zu lernen. Ich habe das in vielen Gesprächen erlebt. Eltern, die nach vielen Jahren, so wieder Kontakt zu ihren Kindern bekamen, konnten es kaum fassen. Doch es war nur ein erster Schritt. Oft genug haben Eltern vor dem ersten Zusammentreffen zitternd in meinen Armen gelegen, weil sie Angst vor dieser Begegnung hatten. Angst vor der Beurteilung ihres eigenen Kindes, Angst vor den Fragen, die möglicherweise gestellt werden würden und die Angst davor, der Situation nicht gewachsen zu sein. Viele Betroffene sind zu diesem Zeitpunkt schon sehr zermürbt und haben starke Selbstzweifel. Dazu kommt ein geringes Selbstwertgefühl, weil ihnen durch Richter, Jugendamtsmitarbeiter, Gutachter etc. ständig das Gefühl vermittelt wird, nicht zu genügen. Wertschätzung und Respekt blieben ihnen versagt. Bei den ersten Unsicherheiten sind sie dann oft genug nicht mehr in der Lage den Kontakt fortzusetzen. Der Prozeß ist zu schmerzlich für sie. Das Kind immer wieder zurücklassen zu müssen, lässt alte Wunden aufreißen und schlägt neue. Sie spüren die eigene Ohnmacht wieder. Es ist eine Gratwanderung und ein schmerzhafter Prozeß. Die Annäherung geschieht den meisten zu langsam. Doch das Tempo sollte das Kind bestimmen. Irrungen und Wirrungen, sowie Auszeiten gehören einfach dazu. Zu vieles muss verarbeitet werden, auf allen Seiten. Eine Gratwanderung, die mich immer sehr viel Kraft gekostet hat, aber es hat sich gelohnt, und zwar in jedem einzelnen Fall. Nicht zu unterschätzen ist auch, dass nicht nur das familiäre Umfeld betroffen ist, auch im sozialen Umfeld gibt es viele Turbulenzen, die geklärt werden müssen.

Bei Menschen, die ihr Ego über das Wohlbefinden ihres Kindes gestellt haben, habe ich jedoch die Hilfe verweigert. Jedoch habe ich immer versucht, einen anderen Blickwinkel zu schaffen.  Das ist mir nicht immer gelungen. Auch Versuche mich zu manipulieren habe ich schnell durchschaut und mich zurückgezogen. 

Oft bin ich gefragt worden, warum ich mich so für mein Enkelkind einsetze. Schließlich bin ich ja „nur“ die Großmutter. Ich war selbst einmal Kind, habe selbst mein zu Hause mit 6 Jahren verloren und meiner Großmutter bei unserem ersten Zusammentreffen nach 9 Jahren den Vorwurf gemacht, sie hätte nicht genug für mich getan. Schließlich sei sie erwachsen und müsse wissen, wie das geht. Den Beteuerungen meiner Großmutter habe ich nicht geglaubt, alles erdenklich Mögliche getan zu haben. Heute weiß ich, sie hat alles in ihrer Machtstehende getan. Meiner Liebe zu ihr hat das keinen Abbruch getan. Ich war viel zu glücklich darüber, sie wieder in meinem Leben zu haben. Auf meine Bindung zu ihr und ihrer Liebe konnte ich immer vertrauen. Für meine Enkeltochter hätte ich mir ein anderes Leben gewünscht. Es war mir nicht möglich, sie vor ihrem Schicksal zu bewahren. Meine Schuldgefühle sind längst abgelegt, denn auch ich kann auf unsere Bindung und auf unsere Liebe zueinander vertrauen. Vertrauen kann ich auch darauf, dass sie ihren eigenen Weg gehen wird, denn dazu habe ich sie erzogen. Ich bleibe an ihrer Seite, solange sie das möchte und gebe Hilfestellung so sie es möchte. Aber ihr Leben soll sie sich so einrichten, wie sie es möchte. Egal was sie tut, ich habe sie lieb und bleibe neben ihr. Daran haben all die Lügen, Diffamierungen und Kriminalisierungen bislang nichts ändern können und werden es auch in Zukunft nicht tun. 

So bin ich in all den Jahren Gesprächspartner für viele gewesen und bin es immer noch. Selbst über Achtzigjährige sind dankbar für die Unterstützung die sie so erfahren. Und nein, ich habe keine Ausbildung darin, Menschen zu begleiten. Ich habe lediglich eine juristische und eine medizinische Ausbildung neben meinem Hauptberuf. Es reicht der normale Menschenverstand, gepaart mit Empathie. Es wird aber immer eine Gratwanderung bleiben. Großen Respekt habe ich vor Menschen, die sich einer solchen Herausforderung tatsächlich stellen und sie verantwortungsvoll meistern. Ich komme aus einer Familie von Hugenotten und Wallonen, der Religion der Menschlichkeit also. Die meisten meiner Familienmitglieder haben ihre Herkunft vergessen, doch inzwischen habe ich erfahren, dass es in meiner Familie immer schon Menschen gegeben hat, die diese Werte hochgehalten haben. Ich gehöre dazu. Das genetische Gedächtnis, welches ich dank meiner Vorfahren offenbar besitze, spielt also auch eine nicht zu unterschätzende Rolle. 

In Summe liegen also viele Lehrjahre hinter mir. Ich habe viele Menschen leiden sehen, konnte einigen vielen helfen und einige Kinder sind wieder daheim. Verantwortungsvollen Richtern und Jugendamtsmitarbeitern sei Dank. Ja, die gibt es tatsächlich noch. Den Therapeuten, die die anschließende Traumabewältigung begleiteten ebenfalls. Den Eltern, die einen Rosenkrieg führen, auf dem Rücken ihres Kindes, erlaube ich mir zu sagen, denken Sie daran, dass Sie Eltern bleiben trotz oder gerade bei einer Scheidung. Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass in jedem einzelnen Fall mehr auf das Kind geschaut wird, auf seinen Willen und auf seine Bedürfnisse. Damit wäre schon viel erreicht.

Dieser Roman ist also entstanden, um betroffenen Menschen zu zeigen, dass sie nicht allein sind, dass sie keine Schuldgefühle haben müssen, weil sie glauben ihr Kind nicht genug geschützt zu haben, Angst und Ohnmacht können bewältigt werden und es lässt sich ein Weg für jeden Einzelnen finden, um mit der Situation umgehen zu lernen. Genau dafür sind die Menschen, die ihn gelesen haben, auch dankbar. Ich wünsche allen Betroffenen den Mut sich einer solchen Situation mit offenem Visier zu stellen, denn nur so sind Veränderungen möglich. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber und war meiner nie. Und selbst durch meinen Fall haben Richter und Jugendamtsmitarbeiter tatsächlich dazu gelernt. Andere, mir bekannte Fälle, die im gleichen Bundesland abgehandelt wurden, zeigen, dass Großeltern und Kinder einen anderen Stellenwert bekommen haben. Es geht also, wenn man nur will.

Ich möchte noch darauf hinweisen, dass es sich um meine Erfahrungen handelt. Andere können andere Erfahrungen gemacht haben. Jede Erfahrung hat ihre Berechtigung.